dridde bloggt. manchmal.

Zinefest 2014

Seit gut 10 Tagen drücke ich mich darum, mal ein paar Worte zum Zinefest zu schreiben. Schlaflosigkeit sei dank passiert das nun doch. Wird auch mal Zeit und passt heute auch ein bisschen.

Am Wochenende 8.+9. November fand in den Mehringhöfen, genauer in der SFE, das vierte Berliner Zinefest statt. Für mich war es allerdings das Erste, ich habe eigentlich recht wenig Bezug zu Zines. Gesehen habe ich früher schon ein paar Musikzines, aber ich habe sie kaum und schon gar nicht regelmäßig gelesen. Dazu gekommen bin ich über eine Freundin, die zum Orgateam gehört und für die ich ein wenig Zeug durch die Gegend fuhr. Also warum nicht einfach mal zum Zinefest gehen und sich ein paar Zines anschauen, Leute treffen und neue Dinge tun. Den meisten Leuten, denen ich später davon erzählte musste ich entweder erklären was Zines sind oder sie fragten etwas wie “Zines? Das gibt’s noch?”

Der Begriff Zine kommt von Fanzine oder Magazine und bezeichnet in kleiner Auflage selbstverlegte Textsammlungen, Comics oder sonstige Hefte, die üblicherweise mit Fotokopierer vervielfältigt werden. Thematisch kann es da um alles gehen, Musikzines, politische Texte, Fanfiction, Comics, LGBT, Feminismus, Fussballzines oder Anleitungen und Hilfetexte. Zines gibt es schon ewig, seit es Fotokopierer gibt wurde es einfacher, welche zu publizieren. Geld wird damit dann auch eher weniger verdient.

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Nachdem ich am Samstag kurz beim Interface Critique ein paar Salzstangen aß und okaye bis gute Vorträge hörte, machte ich mich auf den Weg in den Mehringdamm 2a und begann ein wenig durch die Räume zu streifen. Es gab Workshopräume, eine KüfA, einen Bastelraum und natürlich viele Zines. In mehreren Räumen standen Tische voll damit – zum angucken und kaufen. Es war ziemlich voll und um an die meisten Tische, Künstler und Zines heranzukommen musste man sich ein wenig durch Menschen quetschen. Falls man nicht so sehr auf Körperkontakt steht, konnte man sich auch in eine Leseecke zurückziehen und dort in alten Zines stöbern. Ich las z.B. in irgendeinem von 1988 über eine Konzertreise einer Punkband durch die UdSSR und alte Konzertberichte. Für Workshops war ich aber einfach zu faul.

Programm Samstag Programm Sonntag

Das Ziel war ja, neue Leute kennen lernen und neue Dinge tun. Und am Sonntag sollte es einen Radioworkshop geben. Das war die Chance, sich aus der Comfort Zone rauszubewegen, also wollte ich hin. Erstmal verlor ich aber den Kampf gegen die Snoozetaste und kam daher gut eine Stunde zu spät zum Workshop. Das war aber nicht schlimm, die Jungs von der Funkfabrik-B (deren Webseite gerade blau macht) waren noch später fertig. Schlussendlich lief alles etwas chaotischer als sich Veit und Afri den Workshop wohl vorgestellt hatten, dafür war der auch recht übersichtlich. Ich war der einzige Teilnehmer. Nachdem nach einer Redaktionskonferenz halbwegs klar war, wie die Sendung aussehen soll, wurde ich mit Aufnahmegerät und Motivation losgeschickt und versuchte mich an Interviews mit einigen Workshopleitern. Ich sprach mit Carolina, die einen Workshop “mini-zines, big feelings: diy approaches to your mental health through zine making” hielt und mit Christian, dessen Thema “Wie die Produktion zur Nebensache wurde – Ein Blick zurück aus der Zukunft” war. Das ganze gelang mir nur eher mäßig, aber für meinen ersten Versuch dann doch ganz okay.
Am Ende wurde dann keine Stunde Sendung durchproduziert sondern aus kleinen Beiträgen zusammengestückelt. Das Ergebnis des Radioworkshops kann man heute Abend um 19Uhr auf Pi Radio anhören oder als Podcast #79 bei der Funkfabrik-B runterladen.

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Eigentlich wollte ich zum Ende des Zinefests wieder Zeug durch die gegen Fahren, aber weil zur Feier des Mauerfalls die Stadt durch eine Menschenmauer wieder in zwei Teile geteilt wurde und es quasi nicht möglich war, in irgendeiner sinnvollen Weise mit einem Auto von Ost nach West zu kommen, fiel das leider aus.

Schwarzen Kisten unter die Haube geguckt

Ich kaufe ja gerne Dinge, aus Faulheit auch gerne online. Seit einigen Jahren kaufe ich auch gerne Luftschlösser. Das ganze nennt sich dann Crowdfunding und manchmal werden aus diesen Luftschlössern tolle Dinge.

Eines dieser tollen Dinge war “Looking into Black Boxes”, eine Videoserie, die auf Krautreporter unterstützt werden konnte, bevor die Plattform umgebaut wurde. Die Idee dahinter ist, einen Einblick zu geben, wo Software und Algorithmen unsichtbar in unser Leben eingreifen, und ein Schlaglicht auf das Ubiquitous Computing zu werfen. Die Crowdfundingphase ist längst vorbei, das Projekt wurde erfolgreich finanziert und gestern ist nun die erste der drei Pilotepisoden veröffentlicht worden.

In dieser Episode besuchen Fiona, Jan und Dirk das Unfallkrankenhaus Berlin und sprechen mit dem Leiter der IT sowie Ärzten über ihren Alltag und das Manchester Triage System, das regelt, wie lange ein Notfallpatient warten muss, bis ein Arzt sich um ihn kümmert. Die Folge ist 14 Minuten lang und Ansehen lohnt sich.

Die vielen Schnitte fand ich etwas unnötig, die brachten Unruhe hinein und die s/w-Passagen, in denen man die Kamera sah, empfand ich als komisch. Sie sollen vermutlich aber die Kameraarbeit dokumentieren. Die Voice-Overs und die unaufgeregten Dialoge haben mir gefallen. Gegen Ende der Folge wird auch ein wenig Kritik geäußert: Wer ist verantwortlich für getroffene Entscheidungen und Fehler, die passieren, wem nützt die gewonnene Effektivität? Werden Vorgänge schneller, transparenter oder nur wirtschaftlicher?

An dieser Stelle wurde ich noch einmal hellhörig. Vor einigen Jahren habe ich einen Text gelesen, in dem es um ein Softwaresystem in Krankenhäusern ging, das verschiedene Kennzahlen eines Patienten wie Alter, Vorerkrankungen und rund 20 aktuelle Vitalwerte aufnimmt und daraus eine Prognose erstellt. Dabei standen Überlebenswahrscheinlichkeit für die nächsten Monate bis zu ein paar Jahren und diese Wahrscheinlichkeiten in Relation zu den Behandlungs- und Folgekosten im Fokus und wurden entsprechend bewertet. Das System empfahl für Patienten, bei denen es sich wirtschaftlich nicht mehr lohnt, gar nicht oder nicht nach allen verfügbaren Möglichkeiten zu behandeln. “Tut uns leid, sie sind leider ein medizinisch-wirtschaftlicher Totalschaden”. Das System traf nicht die Entscheidung über Leben und Tod, gab jedoch eine klare Handlungsempfehlung für die behandelnden Ärzte. Natürlich sind die im ukb eingesetzetn Systeme weit davon entfernt und der Kostenfaktor spielt hier eine untergeordnete bzw. bisher keine Rolle, ich hätte mich aber gefreut, wenn Kritik in diese Richtung auch im Video angeklungen wäre.

Das Internet ist schnelllebig und ich pflege kein Linkarchiv, sodass ich den ursprünglichen Text leider nicht verlinken kann. Ich konnte aber zumindest ähnliche Systeme finden, wie in dem von mir erinnerten Text. Es gibt z.B. das PREDICT Modell, hier ein Artikel im PLOS One Journal darüber. Auch hier werden mehrere medizinische Werte sowie Alter des Patienten benutzt um eine Überlebensprognose und Behandlungsempfehlungen abzugeben. Die Behandlungskosten und die begrenzte Zahl an Patienten werden an mehreren Stellen im Artikel erwähnt und das System als Lösung angeboten.

Ethik kann man schwerlich in Code gießen – das ist die Stelle, an der die behandelnden Ärzte gefragt sind, wie die Chirurgin im Video schon sagte. Ich hoffe, dass das noch lange so bleibt. In eine Richtung der rein wirtschaftlichen Kalkulation (wer nach wie vielen Jahren welche Überlebenswahrscheinlichkeit zu welchen Kosten hat, ggf. Patienten unbehandelt lassen), sollte es meiner Meinung nach nicht gehen. Schon gar nicht durch automatisierte Systeme – sonst führt das am Ende dazu, dass entsprechend alte Personen gar keine Behandungen mehr erhalten, außer sie haben ausreichend Geld oder Status.
Mir ist bewusst, dass dies zum Teil auch jetzt schon so ist und einige Patienten nur noch schmerzstillende Mittel bekommen, da eine Behandlung sich schlicht nicht mehr lohnt, sei es finanziell oder aber in gewonnener Lebenszeit im Verhältnis zur entsprechenden Lebensqualität. Diese Entscheidungen automatisiert zu treffen, empfinde ich allerdings als ähnlich dystopisch wie autonome bewaffnete Dronen.

Kannst du mir mal mein Smartphone angucken?

Ende der 90er schaffte sich fast jede Familie in meinem Umfeld einen Computer an. Aus irgendeinem Grunde wurde ich Freundes- und Bekanntenkreis beschlossen, dass ich der computeraffine Teenager bin, der herumgereicht wird um die virenverseuchten Kisten wieder fit zu machen, ganze Abende Shareware und Trojaner deinstalliert und am Ende dann einen Zwanziger zugesteckt bekommt, den man eigentlich gar nicht möchte, weil der die Zeit eh nicht aufwiegen kann und man es nun nicht wegen des Geldes macht sondern den Leuten Hilfe zur Selbsthilfe geben möchte. Dass das mit der Selbsthilfe fast nie geklappt hat und man, wenn man einen Rechner einmal auch nur länger als 30 Sekunden angeguckt hat, sofort einen unkündbaren Wartungsvertrag an der Backe hat, wissen glaube ich alle Nerds meines Jahrgangs.

Ich fühlte mich die letzten Tage wieder sehr stark daran erinnert. Mein Schwager, meine Schwester, mein Vater – alle engeren Familienangehörigen haben sich in den letzten Monaten Smartphones angeschafft oder sie geschenkt bekommen. Alle sind in ähnlichem Maße davon überfordert. Obwohl sie alles kluge Menschen sind, kommen sie selbst mit Bedienungsanleitung nicht weiter. Jede App funktioniert irgendwie anders, Wischgesten sind eben doch nicht so intuitiv und der Gedanke, dass das inzwischen eher ein kleiner Computer ist, der zufällig auf telefonieren kann, scheint noch ein bisschen fremd zu sein. Ich warte noch darauf, dass ich dann regelmäßig Apps ausmiste, die eh nie gestartet werden, so wie früher die tausenden Sharewareprogramme, die sich auf der Festplatte meines Vaters fanden.

Was ich aber viel interessanter fand, ist der Abbau der Paranoia in Bezug auf Privatsphäre und persönliche Daten. Meine Schwester ließ damals während der StreetView-Debatte ihr Haus verpixeln, obwohl sie in einer Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt lebt, die wohl erst Jahre später dort gelandet wäre. Ich hatte damals bei Gesprächen mit meinen Eltern und ihr pro-StreetView argumentiert, ich konnte sicher auch ein paar Punkte machen und falsche Behauptungen aus den Zeitungen gerade rücken, aber dennoch war da diese allgemeine Angst vor Google und der Hausfassade im Internet.
Rückblickend wurde wohl der persönliche der Nutzen nicht ersichtlich. Heute wird, vor dem buchen des Urlaubs, auch erst einmal der Urlaubsort virtuell abgefahren und das Hotel angesehen.
Beim einrichten der Smartphones wurde ich dann jedes mal gefragt, was denn so ein Google Account sei und was der bringe. Also erklärt, dass da eine Mailadresse, ein Kalender, eine Kontaktverwaltung etc dranhängt, man gigabyteweise Speicher für Mails (bisher hatten sie tatsächlich noch web.de mit unglaublichen 12MB! Speicherplatz für Mails) und Dokumente “in der Cloud” hat und sich das alles ganz prima selbst synchronisiert und auch teilen lässt. Alles einmal auf meinem Smartphone und die Webfrontends gezeigt. Da ich die Privatsphärenbedenken noch gut vor Augen hatte, natürlich darauf hingewiesen, dass Goolge dann “weiß”, wen du kennst, was für Termine du hast, wem du Mails schreibst etc. und dass das Telefon auch durchaus ohne den Google Account funktioniert. Dann funktionieren halt nur einige Komfortfunktionen wie Kalender- und Kontaktsynchronisierung etc. nicht.
Erstaunlicherweise war das weder für meine Eltern noch für meine Schwester ein Problem (wobei letzte immer noch der Meinung ist, ihre Hausfassade gehöre nicht ins Internet). Da mich das durchaus ein wenig belustigt hat, habe ich nachgefragt, warum sie es für schlimm halten, dass Google Häuser fotografiert, aber viel privatere Daten wie Geburtstage Kontakte, Adresse, Mails, Termine, etc, die viel mehr Rückschlüsse erlauben, freiwillig und ohne Not an Google geben. Eine plausible Erklärung hatten sie dafür nicht.
Vielleicht liegt es daran, dass der persönliche Nutzen direkt ersichtlich ist, dass es keine Medienkampagne dazu gab oder dass kein Zugriff von Fremden auf die Daten möglich ist, obwohl die NSA-Überwachungsgeschichte zu dem Zeitpunkt schon publik und aktuell war. Vielleichit fehlt auch einfach das plausible Bedrohungsszenario wie “Einbrecher könnten gucken wie mein Haus aussieht!”. Gut, im zweifel kann er dann im Kalender gucken, wann man nicht zu Hause ist…
Vielleicht ist das auch alles nicht so schlimm, weil Google eh schon weiß, wo meine Eltern und meine Schwester wohnen. Ich habe sie ja auch in meinen Kontakten. ;)

Ich werde auf jeden Fall weiter beobachten, ab wann Bequemlichkeit Ängste und Privatsphärenbedürfnis schlägt.