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Kannst du mir mal mein Smartphone angucken?

Ende der 90er schaffte sich fast jede Familie in meinem Umfeld einen Computer an. Aus irgendeinem Grunde wurde ich Freundes- und Bekanntenkreis beschlossen, dass ich der computeraffine Teenager bin, der herumgereicht wird um die virenverseuchten Kisten wieder fit zu machen, ganze Abende Shareware und Trojaner deinstalliert und am Ende dann einen Zwanziger zugesteckt bekommt, den man eigentlich gar nicht möchte, weil der die Zeit eh nicht aufwiegen kann und man es nun nicht wegen des Geldes macht sondern den Leuten Hilfe zur Selbsthilfe geben möchte. Dass das mit der Selbsthilfe fast nie geklappt hat und man, wenn man einen Rechner einmal auch nur länger als 30 Sekunden angeguckt hat, sofort einen unkündbaren Wartungsvertrag an der Backe hat, wissen glaube ich alle Nerds meines Jahrgangs.

Ich fühlte mich die letzten Tage wieder sehr stark daran erinnert. Mein Schwager, meine Schwester, mein Vater – alle engeren Familienangehörigen haben sich in den letzten Monaten Smartphones angeschafft oder sie geschenkt bekommen. Alle sind in ähnlichem Maße davon überfordert. Obwohl sie alles kluge Menschen sind, kommen sie selbst mit Bedienungsanleitung nicht weiter. Jede App funktioniert irgendwie anders, Wischgesten sind eben doch nicht so intuitiv und der Gedanke, dass das inzwischen eher ein kleiner Computer ist, der zufällig auf telefonieren kann, scheint noch ein bisschen fremd zu sein. Ich warte noch darauf, dass ich dann regelmäßig Apps ausmiste, die eh nie gestartet werden, so wie früher die tausenden Sharewareprogramme, die sich auf der Festplatte meines Vaters fanden.

Was ich aber viel interessanter fand, ist der Abbau der Paranoia in Bezug auf Privatsphäre und persönliche Daten. Meine Schwester ließ damals während der StreetView-Debatte ihr Haus verpixeln, obwohl sie in einer Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt lebt, die wohl erst Jahre später dort gelandet wäre. Ich hatte damals bei Gesprächen mit meinen Eltern und ihr pro-StreetView argumentiert, ich konnte sicher auch ein paar Punkte machen und falsche Behauptungen aus den Zeitungen gerade rücken, aber dennoch war da diese allgemeine Angst vor Google und der Hausfassade im Internet.
Rückblickend wurde wohl der persönliche der Nutzen nicht ersichtlich. Heute wird, vor dem buchen des Urlaubs, auch erst einmal der Urlaubsort virtuell abgefahren und das Hotel angesehen.
Beim einrichten der Smartphones wurde ich dann jedes mal gefragt, was denn so ein Google Account sei und was der bringe. Also erklärt, dass da eine Mailadresse, ein Kalender, eine Kontaktverwaltung etc dranhängt, man gigabyteweise Speicher für Mails (bisher hatten sie tatsächlich noch web.de mit unglaublichen 12MB! Speicherplatz für Mails) und Dokumente “in der Cloud” hat und sich das alles ganz prima selbst synchronisiert und auch teilen lässt. Alles einmal auf meinem Smartphone und die Webfrontends gezeigt. Da ich die Privatsphärenbedenken noch gut vor Augen hatte, natürlich darauf hingewiesen, dass Goolge dann “weiß”, wen du kennst, was für Termine du hast, wem du Mails schreibst etc. und dass das Telefon auch durchaus ohne den Google Account funktioniert. Dann funktionieren halt nur einige Komfortfunktionen wie Kalender- und Kontaktsynchronisierung etc. nicht.
Erstaunlicherweise war das weder für meine Eltern noch für meine Schwester ein Problem (wobei letzte immer noch der Meinung ist, ihre Hausfassade gehöre nicht ins Internet). Da mich das durchaus ein wenig belustigt hat, habe ich nachgefragt, warum sie es für schlimm halten, dass Google Häuser fotografiert, aber viel privatere Daten wie Geburtstage Kontakte, Adresse, Mails, Termine, etc, die viel mehr Rückschlüsse erlauben, freiwillig und ohne Not an Google geben. Eine plausible Erklärung hatten sie dafür nicht.
Vielleicht liegt es daran, dass der persönliche Nutzen direkt ersichtlich ist, dass es keine Medienkampagne dazu gab oder dass kein Zugriff von Fremden auf die Daten möglich ist, obwohl die NSA-Überwachungsgeschichte zu dem Zeitpunkt schon publik und aktuell war. Vielleichit fehlt auch einfach das plausible Bedrohungsszenario wie “Einbrecher könnten gucken wie mein Haus aussieht!”. Gut, im zweifel kann er dann im Kalender gucken, wann man nicht zu Hause ist…
Vielleicht ist das auch alles nicht so schlimm, weil Google eh schon weiß, wo meine Eltern und meine Schwester wohnen. Ich habe sie ja auch in meinen Kontakten. ;)

Ich werde auf jeden Fall weiter beobachten, ab wann Bequemlichkeit Ängste und Privatsphärenbedürfnis schlägt.

7 Comments

  1. Max says:

    Und, gibts schon die ersten privaten Fotos bei G+ oder Fb direkt vom Handy? ;)

  2. erlehmann says:

    Konstantin von Notz erklärte mir im September 2010 nach einer Podiumsdiskussion zu Google Street View, dass er Google Street View tatsächlich nicht für so schlimm halte – es nütze allerdings prima als Aufhänger, um Diskussionen über Datenschutz zu führen. Hat sich wohl geirrt.

    Was Smartfon-Hilfe angeht: Ich installiere fast immer zuerst den f-droid-Paketmanager und platziere ihn prominent auf der Startseite – der geht einerseits auch ohne Cloud (wenn man ein Google-Konto hat, aber die Addressbuch-Synchronisation nicht an ist, will der Market/Play Store nichts aus dem Netz installieren) und zeigt standardmäßig keine Apps mit Werbung, Tracking usw. an.

    • dridde says:

      Naja, dass die Menschen die im Thema stecken StreetView nicht für schlimm halten ist ja eigentlich klar. Warum es so zum Aufreger taugte… keine Ahnung.
      Das “Problem” bei der Smartphonehilfe ist ja, dass ich es erkläre und sie es trotzdem wollen. Also das ganze Google Programm. Play Store, Account, alles. Sie wollen eben keine alternativen Stores und wollen die Googlecloud. Ob ich das nun selbst gut finde oder nicht, erkläre ich ihnen es dann und die Konsequenzen die es hat und helfe dabei. Das Ding ist halt, ich richte das (und die Rechner damals) ja nicht für mich ein sondern für andere Leute. Und die arbeiten vielleicht ganz anders als ich oder legen auf andere Dinge wert.

      • erlehmann says:

        Klar arbeiten andere Leute anders – aber wenn sie mich als unbezahlten Experten heranziehen, sorge ich dafür, dass ich möglichst wenig Arbeit habe. Bei PCs war das zur Schulzeit etwa ein „Ich kann dir Ubuntu installieren, da gibt es auch Firefox, Thunderbird, Pidgin und OpenOffice …“ weil ich mir damit Virenscanner, Toolbars, Porno-Popups, lahme Rechner usw. vom Hals halten konnte.

        Bei Android-Geräten habe ich schon jede Menge Schrottsoftware gesehen, der die Dinger lahm macht – und es waren immer Apps, die über f-droid schlicht nicht zu finden sind. Glücklicherweise begegnete mir noch kein finanzielles Katastrophen-Szenario. ;)

        • dridde says:

          Ja, das schon, meistens benutze ich auch das “dann kriegst du aber Linux” als Vorwand, wenn ich eigentlich keine Lust habe. Seit Jahren muss ich das auch nicht mehr machen, weil andere PC-Kundige Jugendliche nachgewachsen sind.
          Aber bei der Familie ist das halt doch noch etwas anderes. Und die benutzen auch zum Teil Software, die es nicht unter Linux gibt bzw keinen Ersatz. Und das dann mit Wine oder ner VirtualBox zu supporten und zu erklären erhöht meinen Wartungsaufwand auch wieder sehr.
          Lahm sind die Handys eh, sind eher untere Preisklasse, Datenflats vorhanden und im Play Store keine Kreditkarte hinterlegt. Da droht finanziell erstmal keine Gefahr. Vor so download-abo-fallen hatte ich auch mal gewarnt und bisher ist aus der Verwandschaft da niemand drauf reingefallen.

          • erlehmann says:

            Ich benutze das gar nicht unbedingt als Vorwand, eher als Ultimatum: Entweder wir machen es so, wie ich es vorschlage (d.h.: wovon ich Ahnung habe) oder man fragt halt jemand anderen, der nur das Gewünschte erklärt. Die, die nur Webbrowser, Email-Client und Office-Kram (ohne komplexe Dokumente oder VB-Makros) nutzten, gingen da oft drauf ein – und ab da begannen meine Antworten auf Computerfragen meistens mit „Öffne ein Terminal und gib ein: sudo apt-get install …“.

            Für Windows-Systeme schlug ich Leuten tatsächlich wiederholt vor, nach der Installation mit dd ein Abbild der Windows-Partition zu erstellen, um es im Zweifelsfall einfach zurück zu kopieren – das wollte aber merkwürdigerweise niemand.

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